Midas

Es gibt die alte Geschichte vom König Midas.
Er hat den Gott Dionysos bei sich zu Gast. Gierig wie er ist, wünscht sich Midas von ihm, dass alles, was er berührt, zu Gold werde. Dionysos erfüllt ihm diesen Wunsch – und Midas wird einsam verhungern. Einsam, weil jeder Mensch, den er berührt, zu Gold wird, und verhungern, weil dasselbe auch mit jeder Nahrung geschieht.

Eine Geschichte mit einem traurigen Ende. In unserer Warenwelt spiegelt sich etwas von ihr.

Ursprünglich hat man das, was man brauchte, selbst hergestellt. Gehandelt hat man erst gar nicht, dann nur wenig und nur mit dem Überschuss. Das hat sich verändert. Immer mehr Bereiche, die auf einen Markt zu geben früher unvorstellbar gewesen wäre, müssen sich nun dort bewähren: Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Kommunikation. Dieser Prozess ist in unserer Gesellschaft seit langem zu beobachten und er schreitet weiter fort.

Nun entsteht aber hier ein Widerspruch. Weil so vieles zur Ware geworden ist, und weil die Warenproduktion zueinander in Konkurrenz steht und um den Käufer kämpft, gibt es immer mehr Waren, und sie werden immer billiger. Das ist bei Kleidung oder bei Lebensmitteln gut zu beobachten. Dadurch aber nimmt der gefühlte Wert für diese Waren ab. Etwas, was in solcher Fülle überall zu Schleuderpreisen zu haben ist, kann nichts von Bedeutung sein. Marketing-Anstrengungen wie das Einrichten von Luxussegmenten im Markt können diese Tendenz nicht wirklich aufhalten.

So scheint paradoxerweise mit zunehmendem Erfolg der Bemühungen, alles, sogar uns selbst, in Waren zu verwandeln und auf den Markt zu tragen, ausgerechnet diesem zentralen Begriff – nämlich der Ware – die Anerkennung abhanden zu kommen.
Alles ist zu kaufen, aber nichts ist mehr was wert. So kann es kommen, wenn Wünsche in Erfüllung gehen.