Zeit

Es ist ein Paradox, dass der, der die Zeit achtet, sich nicht um sie kümmert.

Dem jungen Menschen, der doch noch so viel Lebenszeit vor sich hat, muss alles schnell gehen. Er hat nie genug Zeit, obgleich er doch noch so viel davon hat. Der Alte dagegen, der doch eigentlich knausern müsste, ist nachlässig-freigiebig mit ihr.
Ob das eine Übung ist? Ein meditativer Dienst im Stile der Absichtslosigkeit? Dass etwas durch lässige Missachtung erst recht geschätzt wird – so wie das junge Mädchen den von allen Männern am interessantesten findet, der sie am wenigsten beachtet.

Erhard Kästner fragt sich in „Der Hund in der Sonne“, ob es recht sein kann, Zeit als eine Art ansammelbares Kapital zu betrachten, aus dem man recht viel Gewinn herausholen soll, Gewinn in Form von Erfolg, Aufstieg oder Ruhm.
Was wäre, wenn es darauf gar nicht ankäme:
„wenn die Kunst aller Künste darin bestände, Lebenszeit zu verlieren? Zeit aufzulösen, Lebenszeit durchscheinend zu machen, durchschimmernd? Lebenszeit zu entzeiten?
Die alte Kunst aller Künste, müsste ich sagen. Denn dem Osten und was von dort zu uns herüberschlug galt es für gewiss, dass es gut sei, sich von der Zeit immer wieder, wie auf Probe, zu lösen, aus der Zeit auszusteigen. Das Kapital leicht und gerne wegzugeben, wie einen alten Geldschein.
Und was hiesse das: die Kunst, Zeit zu verlieren? Ars moriendi, Ars periendi? Was wäre das? Indem man darüber nachdenkt, ist man schon am Anfang des Pfads, die alte Kunst zu erlernen.“

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